Noma, die kleine Kämpferin

„Liebe ist die Lösung“, so steht es bei der Hamburger Familie E. auf einem Regal. Und ohne diese Liebe hätte die Familie nicht das durchgestanden, was ihre kleine Noma die letzten Monate durchlebt hat. Noma, das kleine Wunder, ein Mädchen mit einem unglaublichen Lebenswillen. Doch wo fängt man an, ihre Geschichte zu erzählen?

Ein holpriger Start für Noma

Vielleicht beginnt die Geschichte beim Glück im Unglück. Kurz nach der Geburt scheint für die Eltern Svenja und Andi alles „normal“: Das Kind ist wohlauf, hat die schönen Mandelaugen vom Papa geerbt und ist einfach nur das größte Geschenk für beide. Doch die Mandelaugen, die sie einst dem Papa zuschrieben, sind ein Zeichen für Trisomie 21, auch bekannt als Down-Syndrom. Wer einmal Eltern geworden ist, weiß, dass man sein Kind bedingungslos liebt. Die Diagnose sehen Svenja und Andi nicht als Hindernis, ein glückliches Leben mit der Kleinen zu führen – im Gegenteil, sie
sind überzeugt, dass die kleine Noma ein ganz besonderer
Schatz ist und vor allem das süßeste Baby, das alle im Krankenhaus sofort verzaubert.

Zumal es an ein kleines Wunder grenzt, dass Noma gestillt werden konnte, denn – so sagen Ärzte – fällt Kindern mit Down-Syndrom das Stillen schwerer bzw. ist erst gar nicht möglich. „Hauptsache gesund“, betont Svenja. Als sie diesen Satz während unseres Interviews ausspricht, schießen ihr sofort die Tränen in die Augen, denn sie
weiß, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung ging. Denn bei Nomas Diagnose Trisomie 21 bleibt es nicht. Noma hat oft kalte Hände und Füße, ihre Gewichtszunahme ist eher schleppend und ihre stark marmorierte Haut könnte Anzeichen für einen Herzfehler sein. Zwei Wochen nach der U3 stand beim Kardiologen fest: Noma muss zwischen einem halben und einem Jahr am offenen Herzen operiert werden.

Es wurde den Eltern geraten, sich schon mal im UKE anzumelden und weitere Kontrolltermine wahr nehmen. Doch eins stand fest: Für eine Operation war Noma zu jung, zu klein und noch viel zu dünn. Bevor Noma nicht ein Jahr alt ist, kann sie nicht operiert werden. Hier wäre die Geschichte schon fast zu Ende, wenn das Schicksal nicht gewesen wäre.

Zwischen Hoffen und Bangen

Eine Woche nach der Diagnose. Ein Missgeschick, eine Unachtsamkeit, die alles verändert. Eine Situation, die ihr dasLeben rettet. Die gelbe Lampe ist schuld. Und sie hat seitdem einen Ehrenplatz im Wohnzimmer. Sie ist Nomas kleiner Retter.

Wie jeden Abend kuschelt sich Svenja zu Noma. Licht aus.
Umgedreht und zack – die gelbe Lampe plumpst direkt auf
die Kleine. Schock. Ist ihr was passiert? Hat sie womöglich eine Kopfverletzung? Es bleibt nur eins: Ab zum Krankenhaus und den Säugling einmal durchchecken. Zum Glück ist das UKE nicht weit von ihrer Wohnung, vielleicht sechs Minuten. Sechs Minuten, die über Nomas Leben am Ende entscheiden. Und die reichen, um auf dem Weg zum Krankenhaus ein Drama auszulösen: Kurz vor dem Einsteigen werden Nomas Lippen weiß, ein leises Röcheln, sie klappt weg – die Eltern wussten: Noma ist in Lebensgefahr!

Das Adrenalin führt sie direkt zur Notaufnahme. Rein. Sofort in den Schockraum. Koma. Stunden des Bangens, Stunden der Verzweiflung und Stunden der Ungewissheit. Später kam die Kleine auf die Intensivstation. Nach einer sorgenvollen Woche, in der die Eltern nicht von Nomas Bett wichen, war klar, dass sie ohne OP nicht das Krankenhaus verlassen würde. Die eine Herzhälfte war bereits unnormal groß, was lebensbedrohlich werden kann. Sie hatte wenig zugenommen und verbrachte vor der OP noch zwei Tage auf der Kinderherzstation.

Mit nur 3,5 kg Gewicht ein absolutes Risiko. Mit Untergewicht zu operieren, mit der Gewissheit, dass sie bis zur OP diese Kilos nicht zunehmen wird und das Herz zum Stehen gebracht werden muss, sind Nachrichten, die wohl kein Elternteil gut verkraftet. Wie viel mentale Stärke beide haben, mussten sie erneut unter Beweis stellen und den Ärzten vertrauen. Es gab nur Leben oder Tod. Ihre Kraft schöpften sie mit dem Fokus auf das Leben, das gesund werden von Noma und immer wieder sich selbst Mut machen: Alles wird gut. Alles ist Liebe.

Als sie Noma in der OP-Schleuse abgeben mussten, wollten sie nicht weinen, um Noma keine Angst zu machen. Doch während der OP fuhren sie nach Hause, bemalten eine Lebenskerze und weinten, gaben Kräftegesänge in den Himmel in der Hoffnung, Noma schafft es.

Kleines Herz, großer Mut

Und als ob Noma das gespürt hat, bewies sie, dass sie eine Kämpferin ist. Dass das noch nicht ihr Lebensende ist und sie noch viel erleben möchte. Sie erholte sich von der Operation extrem schnell, konnte noch viel schneller die Intensivstation verlassen und in die normale Station zurückkehren. Sie trank von der Brust, eigentlich war alles gut. Doch der Ultraschall zeigte weiterhin eine Herzinsuffizienz. Nach Wochen und Tagen dann erneut die Gewissheit: eine zweite OP muss her. Wie hoch die emotionale Anspannung der Eltern war, ist kaum in Worte zu fassen, ein Auf und Ab der Gefühle, zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Anspannung und Loslassen. Wieder geht es um Leben und Tod, von Noma, die noch immer kein Jahr alt ist. Wieder müssen Svenja und Andi das
Vertrauen in die Hände der Ärzte legen und wieder müssen sie aushalten, nichts tun zu können, außer sich Mut zuzusprechen. Und Noma wird entlassen, keine OP, so die Ärzte, bevor sie nicht zugenommen hat. Und
die Bluttests sind so gut, dass sie mit ihren Eltern heimfahren kann. Es steht beim Verlassen des Krankenhauses für Svenja und Andi fest: Noch einmal in die Notaufnahme mit der Kleinen schaffen sie nicht. Und vielleicht ist genau dieser Gedanke ein Zeichen an das Universum, dass sie noch stärker sind, als sie zu dem Zeitpunkt glauben. Dass sie noch mehr Kraft
in sich tragen, noch mehr aushalten, als sie sich zugestehen.

Papa Andi kuschelt mit Noma. Sorgenfreie Tage zu Hause, wie sie für andere Paare zum Alltag gehören, sind für Noma die Ausnahme. Und werden dafür umso mehr genossen.

Wieder ins Krankenhaus

Denn keine 24 Stunden später nach der Rückkehr aus dem
Krankenhaus beginnt das Drama erneut. Was nicht besonders klingt, wird doch zum Notfall. Noma trinkt nicht mehr so gut, am Morgen sogar noch weniger – weshalb sich die Eltern für einen weiteren Check-up ins UKE aufmachen wollten. Wieder geht es ins Auto, wieder klappt Noma auf der Rückbank weg. Wieder gibt es auf der Rückbank des Autos den den Kampf um Leben und Tod. Beatmung. Wieder Schockraum, diesmal in der Kindernotaufnahme des UKE. Intubieren. Koma. Svenja
und Andi rücken nur Nomas Genesung in den Fokus. Wie auch bei den anderen Krankenhaus – Aufenthalten wollen sie nicht von Nomas Seite weichen. Oft wurden beide heim geschickt zum Schlafen, damit sie nicht selbst kraftlos umklappen. Acht Tage künstliches Koma, die Kleine kämpft und kämpft, ihr Zustand ist schlecht, eine Lungeninfektion macht es nicht besser. Eine Not-OP muss her. Und dann, dann steht der Kinderherzchirurg da und sagt: „Ich operiere die Kleine. Alles wird gut.“ Und irgendwo in ihrem Unterbewusstsein wissen beide: Das
wird Nomas Retter.

Alltag in weiter Ferne

Die zweite Operation verläuft gut, aber es geht an die Kräfte aller und auch Bekannte und Freunde sind längst überfordert. Nichts ist mehr, wie es war, obwohl alles gut ist. Und doch irgendwie nicht. Regelmäßige Abläufe wie Schlaf, die gemeinsame Babyzeit – all das wovon man
am Anfang mit seinem Baby träumt – fällt flach. Über 60 Tage Hoffen, Bangen, emotionale Achterbahnfahrten. Ob sie jemals wieder zu Hause sein können? Als man ihnen sagt, sie können heim, bestehen sie darauf, noch eine Woche länger zu bleiben. Die Sorge, wieder zu früh das Krankenhaus zu verlassen und ein drittes Mal in der Notaufnahme zu landen, ist eine derart traumatische Vorstellung, die sie nicht aushalten können und wollen. Es war für sie schon schwer genug, die Kleine begraben unter Schläuchen zu sehen. Allein der Gedanke und die Erzählung lassen bei Papa Andi direkt die Tränen fließen.

Die Lösung? Liebe.

Wie sie den Anblick ertragen haben? Ein Kind, verkabelt, intubiert, an Schläuchen angeschlossen und leblos wirkend? Indem sie sich Geschichten in der Zukunft erzählt haben. Was Noma alles schmecken, riechen und fühlen wird, wenn sie größer ist. Wie sie als Teenager ihre erste Liebe findet. Sie erzählten sich über ihr Bettchen hinweg, wie Nomas Leben aussehen wird und wie sie Abenteuer erlebt. Hoffnung, Mut und sogar Humor behielten Svenja und Andi in den Zeiten, sich selbst aufgeben kam nie in Frage. Diese intensive Zeit hat sie zusammengeschweißt, das Band zwischen ihnen noch stärker gemacht. Auf der Wandtafel im Flur steht es: Andi + Svenja = 4EVA = Noma Yuki Ava (N.Y.A – als Abkürzung ihres Namens), wie die Kleine mit vollem Namen heißt. Wenn Svenja über Noma redet, spürt
man die Liebe, Kraft und vor allem etwas Furchtloses – auch in Momenten der Angst.

Am Tag der zweiten Entlassung aus dem Krankenhaus die große Frage: „Schaffen wir, 24 Stunden zu Hause zu bleiben, ohne dass wir wieder in die Notaufnahme
müssen? Stehen wir das erneut durch, nochmal ins Krankenhaus zu fahren, falls was passiert?“ Die ersten Stunden sind gut, alles scheint mit der Kleinen in Ordnung. Es sind fast 24 Stunden vorbei, fast ein Grund zu feiern. Und doch holt sie das Schicksal erneut ein. Heiße Stirn – 39 Grad! Wieder eine irre Fahrt zum Krankenhaus. Zum Glück ohne Wiederbelebungsversuche auf dem Rücksitz, aber mit großer Angst, was nun
passiert. Corona. Eine Woche Isolierzimmer für Svenja und Noma. Warum Svenja nicht verrückt geworden ist, so allein mit Noma im Zimmer? Sie weiß es nicht, sie hatte wieder all ihre Kraft, all ihren Fokus auf ihr Baby gelegt. Mit all ihrem verbliebenen, doch aber schier endlosem Lebensmut und Optimismus. Für irgendwas ist diese Situation wieder gut, daran glaubt sie fest.

Von jetzt an Bergauf

Während des Interviews sieht Noma immer noch klein und zerbrechlich aus, doch nur wenige Wochen später, als unsere Fotografin Alexandra zu ihnen kommt, ist Noma bereits völlig verändert. Lacht, spielt, ist viel aktiver. Wenn man ihre Liebe in Bilder fassen müsste, dann sind es diese hier.

Das Charity-Event KICKEN MIT HERZ sammelt jedes Jahr Spenden für die Herz-Medizin des UKE: Damit Noma und allen anderen kleinen Kämpfer*innen besser geholfen werden kann.

Text: Nussin Armbrust

Fotocredit: Alexandra Pfeifer Fotografie

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