Aus Grau mach bunt – Interview mit TUA

AUS GRAU MACH BUNT

 

„Ich will nicht hoch hinaus, ich will darüber hinweg.“

(TUA – GLORIA)

 

In zehn Jahren kann viel passieren. Das kann kaum einer so gut beurteilen wie Rapper Tua  (Johannes Bruhns), der sich konstant selbst reflektiert und seine Höhen und Tiefen in Beats und Reime verpackt. Wir haben uns mit dem Künstler vor seinem Club Konzert in der Prinzenbar getroffen und erfahren, wieso ihm Persönlichkeitsentwicklung wichtig ist und welche Facetten sein neues Album zu bieten hat.

 

E: Herzlich willkommen in Hamburg. Du bist ja ursprünglich aus dem Süden Deutschlands, genauer gesagt aus Reutlingen und lebst mittlerweile mit Kind und Kegel in Berlin. Für unser Stadtmagazin interessiert uns aber jetzt welchen persönlichen Bezug du zu unserer Hansestadt hast?

 

T: Ich bin in sozusagen musikalisch mit der Stadt verbunden, da ich im Jahr 2006 bei Deluxe Records, also dem Label von Hamburger Urgestein Samy Deluxe, einen Plattenvertrag unterschrieben habe. Das hat dann dazu geführt, dass ich drei Jahre später mein Solo Debut Album „Grau“ hier herausgebracht habe. In den Jahren dazwischen war ich sehr viel in Hamburg unterwegs, habe noch immer viele gute Freunde und Bekannte hier und freue mich immer wieder wenn ich zurück bin und Hafenluft atmen kann.

 

E: Deshalb bist du heute auch in der Nähe der Elbe und beendest deine Clubtour FWD in der wunderschönen Prinzenbar. Das Konzert ist ausverkauft und die Fans warten schon ganz gespannt vor der Tür. Erzähl uns mal deine Pläne für 2019.

 

T: Das Jahr startet für mich mit meinem neuen Album, das Ende März veröffentlich wurde. Nun bin ich seit einer Woche unterwegs und gebe kleinere Release Konzerte in Clubs. Das Konzert in der Prinzenbar heute ist ausverkauft und wird daher heiß und schwitzig. Es kann sogar sein, dass ich von der Bühne falle. Ich bin groß, die Bühne klein, perfekt, um nah bei mir zu sein. Es ist heute der letzte Gig dieser Tour durch Deutschland und es wird langsam schwerer aus dem Koffer zu leben, ich weiß schon garnicht mehr was ich anziehen soll. Ansonsten stehen dieses Jahr noch mehrere Festivals an und eine große Tour gegen Ende des Jahres. In Hamburg spiele ich übrigens am 05.12.2019 im Grünspan und freue mich über euren Besuch!

Tickets für das Konzert am 5. DEZEMBER 2019 in HH

 

„Mein altes Ich ist kein Zuhause mehr, ich suche ein neues und muss damit Laufen lernen’“

TUA –VORSTADT

 

E: Ja, wir freuen uns auch schon auf die nächste „rapflektiere“ Vorstellung. Es ist immer so als würdest du Geschichten erzählen und deinen eigenen Soundtrack für das Leben machen. Dein Debut Album „Grau“ ist nun genau zehn Jahre her. Ist das neue Album jetzt eine inhaltliche Fortsetzung der Geschichte?

 

T: Es stimmt bedingt. Ich habe am Anfang des Albums auf die graue Vergangenheit zurück gegriffen. Das neue Album knüpft thematisch und von der Haltung her da an, wo ich damals aufgehört habe. Es führt aber im weiteren Verlauf auch ziemlich stark davon weg. Ich bin auf jeden fall alles andere, als noch der selbe Typ geblieben. Es wäre irgendwie komisch, wenn zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr nichts passiert wäre, oder?

 

E: Ja absolut. In einer Zeitspanne von zehn Jahren darf gerne eine Entwicklung stattfinden. Bei dir ist einiges passiert, auch ohne in der Zwischenzeit neue Solo Alben produziert zu haben.

 

T: Genau, ich war absolut nicht untätig. Ich habe in den Jahren ganz viele kleine EP’s released, die man sich auch alle noch auf Spotify, AppleMusic und allen anderen Streamingdiensten anhören kann. Nicht zu vergessen natürlich Die Orsons, unser erfolgreiches Bandprojekt, mit denen ich mehrere Alben veröffentlicht habe und viel auf Tour und Festivals war.

 

E: Band vs. Solo Künstler: Was gefällt dir besser?

 

T: Hm, mir gefällt schon das Solo-Künstler-Dasein besser, aber es hat beides Vor- und Nachteile. Die korrekte Antwort wäre wohl, dass ich genau diese Dualität mag. Ich find‘ beides geil, das befruchtet sich gegenseitig.

 

E: Weißt du was ich geil und befruchtend finde? Deinen lyrischen Tiefgang, die Wortspiele und Vergleiche. Du malst Bilder mit deinen Reimen und findest Worte für Gefühle, die vielleicht in der Form noch nie ausgesprochen wurden. Magst du uns verraten wie so ein künstlerischer Prozess bei dir aussieht?

 

T: Das ist schwierig zu beschreiben. Es manifestiert sich ein Gefühl, ein Gedanke, der sich immer wiederholt. Ich würde pauschal sagen, wenn man in seinem Innersten gräbt, dann hat man gefühlt alle drei Monate eine bestimmte Sache, die einen so richtig bewegt. Das kann alles Mögliche sein. Dann starte ich verschiedene Anläufe um mich dem Thema zu nähern. Technisch kommen in dem Prozess Arbeitsschritte wie Mindmaps oder Textsammlungen vor. Ich recherchiere, eigne mir Wissen über das jeweilige Gebiet an und beschäftige mich intensiv mit allen Facetten und Schichten. Vielleicht ist es verständlicher, wenn ich den Prozess an einem Beispiel festmache. Nehmen wir „Vorstadt“, den ersten Track auf meinem neuen Album. Ich hatte anfangs die Idee, dass ich unbedingt die Geschichte erzählen möchte, wo ich herkomme. Angefangen habe ich auf einer Autofahrt, die ich dafür genutzt habe einen Oldschool HipHop Beat zu bauen. Die nächste Stufe für mich war dann zu überlegen, wie komme ich quasi aus der Kindheit raus. Im Stil einer 10-Jahres Challange „Was ist zehn Jahre später passiert?“ Und wenn ich inhaltlich zehn Jahre springe, kann ich auch die Musik dem Jahrzehnt anpassen. Von der Vergangenheitsbewältigung bis zum Heute, habe ich in diesem Lied drei verschiedene Phasen, drei verschiedene Beats und für die erste und letzte Strophe je ein Feature zusammengebracht. Das ist für mich ein stimmiges Konzept. Aber auf dem Weg dahin fallen auch ganz oft Sachen weg. Bei „Vorstadt“ habe ich bestimmt sieben Anläufe für den dritten Part gebraucht. Ich wollte den Zeitgeist auch durch die Geschwindigkeit der Musik darstellen und es hat ein paar „trial and error“ Momente gebraucht, bis ich zufrieden war.

 

E: Apropos Zeitgeist. Wenn man sich so in den Charts umhört hat man schon das Gefühl vieles ist sehr ähnlich und verschwimmt als Einheitsbrei. Da stichst du mit deiner Musik total heraus. Es geht  um Gefühle, Schattenseiten, Selbstreflexion und meiner Meinung nach dadurch auch ein Stück weit um die Emanzipation des Mannes und gelebten Feminismus. Du scheust dich nicht davor Gefühle zu zeigen, ohne dabei in die Schnulzigkeit abzurutschen. Ist das nicht genau der Entwicklungsschritt auf den wir alle bei den Männern warten?

 

T: Wow. Erst einmal viel zu viel der Ehre. Sowas würde ich mir selbst nicht auf die Fahne schreiben. Dafür bin ich stellenweise immer noch viel zu unsensibel und jemand der noch ganz viel lernen muss. Ich denke da gibt es andere, die da schon viel weiter sind als ich. Aber es freut mich natürlich, wenn man hören kann, dass ich mich entwickelt habe. Immerhin habe ich eine Frau und Tochter zuhause, ohne die ich bestimmt nicht so einen starken Prozess gemacht hätte. Das Zusammenleben hat mich Stück für Stück dahin gebracht, meine alten, durchaus sehr maskulinen und mitunter auch dümmlichen Haltungen abzulegen. Wahrscheinlich hört man das raus. Und zu den anderen Männern, die keine Gefühle zeigen können: Ist es nicht komisch, dass wir durch unsere Gefühle die Welt wahrnehmen? Und man räumt mit allem auf, im Äußeren, überall. Man versucht die Dinge zu verändern, aber im Inneren bleibt man still und heimlich wer man ist und schiebt alles  beiseite, was unangenehm ist. Das ist doch total irregeleitet. Ohne, dass ich mich auf dem Gebiet zum Vorzeige-Beispiel machen will, aber mir ist es als Künstler total wichtig zu überlegen, was in mir drin passiert. Selbst wenn das nicht immer cool und rosig ist, dann ist das eben so. Wichtig ist eben den Prozess überhaupt zu machen, hinzugucken und anzuerkennen, was dort ist.

 

„Ich komm ja auch nicht weiter als an meine Grenzen“

TUA FEAT. KOOL SAVAS – PROBLEM

 

E: Und machst du den Prozess dann mit dir selbst aus oder wie verschaffst du dir innere Ordnung?

 

T: Ich hab‘ überhaupt keine innere Ordnung, leider. Ich bin super durcheinander. Vielleicht bin ich einfach jemand, der ziemlich emotional ist. Psychoaktiv, oder wie man dazu sagen mag. Ich gehe durch Höhen und Tiefen und habe mittlerweile akzeptiert, dass es so ist. Das ist mein künstlerisches Kapital. Wenn ich ein Problem von mir erkenne, zum Beispiel den Perfektionismus, dann beobachte ich dieses Element in mir und arbeite damit. Zum einen mache mir Notizen, wann immer das Gefühl erneut in mir aufsteigt, frage mich woher das kommt, was mich verunsichert oder beängstigt. Zum anderen schaue Dokus darüber, lese Bücher, Interviews mit Psychologen und ergründe die Schnittmenge zwischen dem was bei mir persönlich passiert und dem was theoretisch passiert. Irgendwo dazwischen versuche ich dann einen Song anzusiedeln. Ohne dass es daher kommt wie eine Doktorarbeit. Die Stimmung und das Gefühl muss musikalisch rüberkommen.

 

E: Das klingt ja viel strukturierter als du sagtest, dass du bist.

 

T: Ja, als Künstler an sich bin ich total strukturiert und in allem anderen ein Chaot.

 

E: Was können die Menschen also von dir als Struktur-Chaot lernen?

 

T: Ich glaube nicht, dass jemand etwas von mir lernen kann. Wenn überhaupt, dann kann ich nur vormachen wie es ist, sein Leben als Künstler zu leben und wie sich diese intensiven Gefühle durch alle Bereiche ziehen. Ich will alles ganz genau wissen, erfahren, leben, lieben, fühlen. Das ist eine persönliche Haltung, die ich gut finde und mit der ich gut leben kann. Das kann man jetzt nicht direkt von mir lernen, aber so versuche ich mein Leben zu gestalten.

 

„Ein Kopfschuss aus Glückshormonen, er färbt die Wände rot“

TUA – NACHTSCHATTENGEWÄCHS

 

E: Intensiv und manchmal eben grau. Wenn man deine Texte hört kommt immer wieder das Düstere, Melancholische und teilweise Depressive zum Vorschein. Ich habe letztens gelesen, dass die Depression das Gegenteil von Aggression ist. Mit dem Unterschied, dass bei der Depression die Aggressivität nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet wird. Kannst du mit der Theorie etwas anfangen?

 

T: Uhh… wenn ich es so höre, gehen bei mir direkt die Alarmglocken an, die sagen: „So einfach kann das nicht sein“. Ich glaube das Wort Depression ist an sich total undifferenziert und beschreibt einen vielfältigen Kosmos an Dingen, die nicht so richtig in einer Linie sind. Ich spreche viel mit Leuten, die mir ihre Versionen von der Depression erzählen und daher kommt es mir eher so vor, als gäbe es sehr viele unterschiedliche Ausdrucksformen dieser Krankheit. Häufig hat es damit zutun, dass Betroffene nicht wissen wohin mit sich. Sie haben Schwierigkeiten sich mit sich selbst vereint zu fühlen. Über die Theorie der Aggression müsse ich jetzt länger nachdenken, es kann aber schon sein, dass da Zusammenhänge bestehen. Ich bin auch kein Experte auf dem Gebiet, aber danke für den Input, ich recherchiere das und nächstes mal diskutieren wir nochmal…

 

„Ich könnte schwören, dass dieses Zimmer enger wächst
Ich hör mich die Schatten schimpfen „Hände weg, ihr Menschenfresser“
Ich werd belagert von grellwacher Müdigkeit
Bis nur noch ein schmaler Pfad übrig bleibt

und ich schlaf“

TUA – NACHTSCHATTENGEWÄCHS

 

E: Eine weiteres Phänomen, dass du gerne in deinen Songs aufgreifst ist der Drogenkonsum. Aus deinem ersten Album geht hervor, dass man ganz schön damit zu kämpfen hat. Anders als bei den meisten Rappern, die Koks und Co eher verherrlichen, gehst du auch kritisch damit um und siehst Konsum und Sucht auch als möglichen Tiefpunkt, Schatten und Gefahr. Wie stehst du heute dazu?

 

T: Für mich ist alles im Leben ambivalent. Es gibt nicht nur gut oder schlecht, es gibt immer zwei Seiten der Medaille. Angesagte Kokain-Turn-up Tracks, die einem entgegen schreien und zu Party-Parolen werden, behandeln nur den Spaßfaktor der Droge. Doch wie bei jedem Mainstream Trend gibt es immer auch eine Gegenbewegung und andere Formulierungen des Themas. Ich glaube die Leute zerstreuen sich, es gibt nicht mehr diesen einen großen Hit. Jeder findet, was zu ihm gehört. Das klingt so abgedroschen, wenn ich sage „die Musik, die du hörst korrespondiert mit deinem Temperament“. Aber wenn man den Satz mal wirken lässt, dann landet man am Ende wieder bei der eigenen Psyche. Das bedeutet, wenn ich mit Leuten spreche, die meine Musik mögen, dann weiß ich oft schon relativ viel von der Person. Es ist dann sehr wahrscheinlich, dass der Mensch auch andere Künstler mag, bestimmte Filme guckt und einen gewissen Hang zu Dingen hat. Wie ich. Das liegt aber weniger an meiner Person an sich, sondern vielmehr daran, dass wir uns aus den selben Töpfen bedienen und die gleichen Inspirationsquellen nutzen. Ich glaube, dass es bestimmte Persönlichkeitsmodelle gibt, die sich ähneln.

 

E: Wie ist die Musik die du selber hörst und welche sind deine Lieblingskünstler?

 

T: Atmosphärisch, flächig und eher ruhig. Sehr getragen, nachdenklich und gerne auch ohne Vocals wie elektronische Musik oder Klassik. Wenn man das herunterbrechen kann, lasse ich mich geschmacklich irgendwo zwischen Portishead und The Prodigy einordnen.

 

E: Und wie stehst du zur Stille? Gönnst du dir auch mal eine Auszeit?

 

T: Ich muss zugeben, dass ich damit Schwierigkeiten habe. Aber mir ist es bewusst und ich versuche immer besser darin zu werden.  Aktuell höre ich ganz oft geführte Meditationen und habe die Hoffnung, dass ich irgendwann gut darin werde. Was auch immer das bedeutet mag.

 

Das Interview führte Saskia Weigel für Elbblick Magazin

Foto: Nico Wöhrle / Presse FKP Scorpio

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